326 Seiten statistisches Zahlenwerk zeichnet eine Sonderausgabe der Deutschen Rentenversicherung (RV in Zeitreihen, Band 22, Okt. 2012) aus. Sie bestätigt meine Erfahrung aus vielen Beratungsgesprächen, wonach die Altersrente für schwerbehinderte Menschen mehr und mehr an Bedeutung gewinnt.
Oft stellt sie die einzige Möglichkeit eines Rentenbezuges vor dem 65./67. Lebensjahr dar. 42,5 Versicherungsjahre hat ein Bezieher dieser Rentenart durchschnittlich zurückgelegt (Durchschnitt aller Versichertenrenten 2011: 36,3) und erhielt daraus eine Rentenleistung von 934 € (Durchschnitt 663 €). Während die Zahl der Bestandsrentner in der Zeit von 2009 – 2011 insgesamt nur um 243.391 auf 19.352.964 Personen wuchs, erhöhte sich die Zahl der Rentenempfänger wegen Schwerbehinderung überproportional um 166.369 auf 1.680.843 Personen. Im Jahr 2012 wird der Zugang noch wesentlich höher gewesen sein.
1,68 Millionen Menschen mit einer langen Versicherungszeit von 42,5 Jahren beziehen wegen ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen bereits ab dem 60/63 Lebensjahr (anstelle 65/67) Ihre Rente.
Nach meiner Auffassung und Erfahrung liegt die Zahl der berechtigten Personen noch weit höher. Oft handelt es sich um Personen, die mit 60 Jahren noch voll im Berufsleben stehen und ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen als nicht so gravierend ansehen (wollen).
Ich kann meine Arbeit noch machen – ich bin nicht erwerbsunfähig oder schwerbehindert
Dass ich diese Antwort erhalte, liegt zum einen an der negativen Stigmatisierung Schwerbehinderter in der Öffentlichkeit. Ein erfolgreicher Geschäftsführer schwerbehindert? In unserer heutigen Arbeitswelt muss der Erfolg der Firma mit aktiven, dynamischen Kräften nach außen vertreten werden, bei einer Schwerbehinderung droht in Gedanken bereits die Abschiebung in das Kellerarchiv. Daher erhalte ich auf diese Frage fast reflexartig die Antwort: Nein!
Zum anderen ist jedoch Schwerbehinderung gerade nicht mit einer Erwerbsminderung gleichzusetzen. Die Erwerbsminderung, wie sie bei einer Rente wegen Erwerbsminderung von der Deutschen Rentenversicherung geprüft wird, zielt auf die Frage ab, ob in Ihrem Beruf oder dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch eine Beschäftigung von über 3 bzw. 6 Stunden täglich ausgeübt werden kann. Diese Frage ist bei der Feststellung einer Schwerbehinderteneigenschaft völlig unerheblich. Selbstverständlich können Personen, die z.B. bei einem Unfall ein Bein oder eine Hand verloren, noch Spitzenergebnisse in ihrem Beruf erzielen. Ebenso selbstverständlich sind sie jedoch auch als Schwerbehinderte anzuerkennen.
Die arbeits- und steuerrechtlichen Vergünstigungen, die mit der Anerkennung eines Schwerbehindertenstatus einhergehen, sind nicht unerheblich. Die rentenrechtlichen Vorteile möchte ich mit folgendem Beispiel darstellen:
Rudi R. geboren 05.05.1950, begann seine berufliche Karriere als Elektromonteur. Nach körperlich anstrengenden Jahren wechselte er den Arbeitgeber und wurde im Außendienst eines Baumaschinenherstellers tätig. Vom Bagger bis zum Teerwagen, Rudi kennt sich bestens aus. Fast 100.000 KM pro Jahr unterwegs, ein enger Terminkalender und ein nicht immer gesunder Lebensstil hinterlassen ihre Spuren: Mittelgradige Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule, geringgradige Funktionsbeeinträchtigung der Kniegelenke, Bluthochdruck und Blutzucker sowie eine Einschränkung der Lungenfunktion führten beim Versorgungsamt zur Anerkennung einer Schwerbehinderung (GdB 50). In seinen 42,5 Beitragsjahren hat Rudi immer etwas besser als der Durchschnitt verdient, zuletzt 2012 42.180.- €.
Seine Möglichkeiten heute:
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1. Er beantragt zum 01.02.2013 die Gewährung einer Rente für Schwerbehinderte, d.h. 4 Monate vor seinem 63. Lebensjahr. Diese 4 Monate muss er mit einem Rentenabschlag von 1,2 % (0,3 % pro Monat) „bezahlen“:
Rentenbeginn 01.02.2013
Monatliche Bruttorente nach Abschlag 1.531 €
2. Er beantragt die Rente zum 63. Lebensjahr, d.h. einem Rentenbeginn zum 01.06.2013 und geht ohne Abschläge in Rente. Zusätzlich erwirbt er für die Monate von Feb.- Mai 2013 noch weitere Beitragszeiten:
Rentenbeginn 01.06.2013
Monatliche Bruttorente abschlagsfrei 1.560 €
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Läge keine Schwerbehinderung vor, könnte Rudi noch versuchen, exakt zum 65. Geburtstag die Wartezeit von 45 Versicherungsjahren zu erfüllen. Abschlagsfreier Rentenbeginn wäre dann der 01.06.2015. Die „normale“ Regelaltersrente würde einen Rentenbeginn erst zum 01.10.2015 ermöglichen.
Die Schwerbehinderteneigenschaft zahlt sich hier (Rentenbeginn 01.02.2013 anstelle 01.10.2015) mit einer Rentenleistung für diesen Zeitraum von ca. über
65.000 €
aus.
Übrigens: Rudi R. hat seinen Kollegen und seinem Arbeitgeber nie seinen Schwerbehindertenstatus offenbart, na und?! Für die Rente war es wichtig.
Joachim Scholtz
Rentenberater