Die Wirkung bestandskräftiger Bescheide im Betriebsprüfungsverfahren gem. § 28p SGB IV nach der Rechtsprechung des Bayerischen LSG

Jeder hat in seinem Leben unzählige Male mit der öffentlichen Verwaltung zu tun. Sei es im Bau- oder Aufenthaltsrecht oder im weitläufigen Sozialrecht mit BAfÖG, Elterngeld, Arbeitslosengeld, Renten etc.

Wir haben alle schon einmal …

Bescheid erhalten.

Sie konnten dann sicher sein, dass Sie den Carport bauen durften oder aber Anspruch auf Kindergeld oder eine andere Leistung hatten.  Ein Bescheid oder Verwaltungsakt erlangt, wenn er nicht angefochten wird, nach bestimmter Zeit formelle Bestandskraft – die Unanfechtbarkeit.

Sie können dann (ziemlich) sicher sein, dass Sie den Carport nicht wieder abreißen oder das Elterngeld zurückzahlen müssen. Mit „ziemlich“ ist gemeint, dass die öffentliche Verwaltung bestimmte Entscheidungen unter ganz bestimmten Voraussetzungen wieder zurücknehmen kann, z.B. weil die Leistung erschwindelt war oder bewusst verheimlicht wurde, dass das Carport im Brutgebiet der Sumpfstelze gebaut werden sollte. Nachdem Sie also anfangs einen positiven Bescheid erhalten haben, muss die Verwaltung Ihnen mitteilen, warum sie diese alte Entscheidung für rechtswidrig hält und Ihnen Gelegenheit geben, etwas zu Ihrer Entlastung vorzutragen (Anhörung). Erst anschließend, wenn Ihr Vortrag berücksichtigt wurde, darf die Verwaltung unter ganz bestimmten Voraussetzungen ihre alte Entscheidung abändern.

Dieses Prinzip der Rechtssicherheit durch die Bestandskraft eines Verwaltungsaktes muss selbstverständlich auch für Unternehmen gelten.  So die Auffassung des Bayerischen Landessozialgerichts in Streitigkeiten um lange Rückforderungszeiträume nach Betriebsprüfungsverfahren.

In seiner Entscheidung vom 18.01.2011 hatte der 5. Senat des Bayerischen Landessozialgerichts – L 5 R 752/08 – festgestellt,

dass die Nachforderung von Beiträgen für eine Zeitraum, der zuvor Gegenstand einer früheren Betriebsprüfung gewesen war, nur nach § 45 SGB X möglich ist. Die dortigen Grundsätze gelten auch im vorliegenden Falle. Die Antragsgegnerin (DRV) hatte schon mit Bescheid vom 01.07.208 über den Prüfzeitraum vom 01.01.2004 – 31.12.2007 entschieden und eine Beitragsbescheid nach § 28p SGB IV erlassen. Dieser Bescheid war nach § 28p SGB IV, § 7 Abs.4 S.1 BVV in Anwendung des Bestimmtheitsgrundsatzes nach § 33 SGB X so zu verstehen, dass das durchgeführte Betriebsprüfverfahren für die Zeit 2004 – 2007 die dortigen Beanstandungen ergeben hat. Wollte die Antragsgegnerin einen weiteren Bescheid erlassen mit dem Inhalt, dass das Betriebsprüfverfahren für die Zeit vom 01.12.2005 – 31.12.2007 weitere, über die damals getroffene hinausgehende Beanstandungen und Nachforderungen ergeben hat, bestünde die Gefahr, dass zwei den identischen Gegenstand regelnde Bescheide mit sich widersprechendem Inhalt ergehen.

Dieser Gefahr begegnet das gem §§ 1, 8 SGB X auch für Betriebsprüfungsverfahren nach § 28p SGB IV geltende SGB X (vgl. LSG Hamburg Urteil vom 22.1.2009 – L 3 R 17/08, Rz. 33 – zitiert nach juris) mit den Regelungen in §§ 44 ff SGB X. Danach sind bereits bestandskräftige Bescheide unter bestimmten Voraussetzungen einer nachträglichen Beseitigung zugänglich; sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, bleibt es bei dem ergangenen Bescheid; ein weiterer, den gleichen Gegenstand regelnder späterer Bescheid ist rechtswidrig.“

Obgleich die Entscheidung rechtskräftig ist, folgt die DRV diesem Urteil

nicht über den Einzelfall hinaus.

Dass keine Revisionsnichtzulassungsbeschwerde erhoben wurde, sei auf unbeabsichtigte Fristversäumnis zurückzuführen, so hört man hinter vorgehaltener Hand aus dem Hause der DRV.

Hinweise auf diese und ähnliche Entscheidungen des Bayerischen LSG ( – L 5 R 613/11 B ER -, L 5 R 138/12 B ER -) werden mit „Ach, der Rittweger“ (Vorsitzender Richter des LSG) abgetan.

Wie soll jedoch für Unternehmen in Deutschland Rechtssicherheit eintreten, wenn frühere Prüfbescheide der DRV („alles o.k.“) einfach ignoriert und zu einem späteren Zeitpunkt trotzdem die

30-jährige (!) Verjährungsfrist

angesetzt werden kann?

Arbeitgebern und Steuerberatern wird Vorsatz oder zumindest bedingter Vorsatz unterstellt, wenn  nicht sofort die sozial – und beitragsrechtliche Auswirkung einer wie auch immer gearteten Zahlung erkannt wird. Dies bei einem unübersichtlichem Sozialrecht, dass sich über 12 Gesetzbücher erstreckt. Allein beim 12. Senat des Bundessozialgerichts, der ausschließlich für Beitrags- und Mitgliedschaftsrecht zuständig ist, sind derzeit 54 (!) Revisionverfahren, d.h. Verfahren mit grundsätzlicher Bedeutung, zu Fragen des Beitrags- und Mitgliedschaftsrecht anhängig.

Wissen Sie als Arbeitgeber oder Steuerberater etwa nicht die derzeitige Rechtslage zu folgenden, beim BSG anhängigen Rechtsfragenfragen:

 

  • „Gilt die durch das GKV-WSG vom 26.3.2007 in § 6 Abs 1 Nr 1 SGB 5 eingefügte „Wartefrist“, nach der abhängig Beschäftigte mit einem Einkommen über der jeweils für sie geltenden Jahresarbeitsentgeltgrenze erst nach drei Kalenderjahren mit einem solchen Einkommen versicherungsfrei werden, auch für solche Versicherte, die vor Aufnahme ihrer Beschäftigung selbstständig tätig waren und die bereits privat krankenversichert sind, unabhängig davon, wie hoch ihr Arbeitseinkommen als Selbstständiger war?“

 

  • „Hat ein privat krankenversicherter Beschäftigter gegen seinen Arbeitgeber einen Anspruch auf Zahlung eines Zuschusses zum Beitrag seiner in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig versicherten Ehefrau?“

 

  • „Sind auf die in der Freistellungsphase ausgezahlten Wertguthaben Beiträge zur Sozialversicherung zu erheben, solange der Auszahlungsbetrag die im Zeitpunkt der Auszahlung geltende Beitragsbemessungsgrenze nicht überschreitet und gilt dies unabhängig davon, ob dieses Wertguthaben aus Arbeitsentgelt herrührt, das zum Zeitpunkt seiner Erwirtschaftung, dh in der aktiven oder sog Ansparphase, die damals geltende Beitragsbemessungsgrenze überschritt?“

 

  • „Ist die Regelung in § 2 S 4 Nr 3 SGB 6 unter Berücksichtigung des Schutzzwecks von § 2 S 1 Nr 1 SGB 6 dahingehend auszulegen, dass für den Gesellschafter nur solche Arbeitnehmer der Gesellschaft zu berücksichtigen sind, deren Arbeitsentgelt auf die Gesellschafter aufgeteilt, zur Versicherungspflicht des Arbeitnehmers führt?“

 

Nein?
Wie, Sie wissen nicht ob so eine Fallgestaltung bei Ihnen existiert?

Macht nichts, die Prüfer der DRV kommen alle vier Jahre einmal gucken – aber nur stichprobenhaft (und ganz unverbindlich) – bei einer Verjährung von 30 Jahren muss sich auch nicht geeilt werden…

… wie war das eigentlich mit dieser Verpflegungssonderzahlung 1983?

Joachim Scholtz
Rentenberater