Das nachträgliche Anfrageverfahren (Statusverfahren) gem. § 7a SGB IV

Eine der wichtigsten Fragen im Sozialrecht ist die, ob eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit ausgeübt wird. Der Begriff der Beschäftigung wird in der Vorschrift des § 7 Abs.1 SGB IV definiert:

„Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.“

Diese Definition wirft viele Fragen auf, so dass allein der Standardkommentar zum Sozialrecht (Kasseler Kommentar) zu dieser Vorschrift 61 Seiten umfasst.

Insbesondere in der heutigen modernen, durch „Outsourcing, Tele- und Fernarbeit“ geprägten Arbeitswelt lässt sich für den einzelnen Auftragnehmer/ Beschäftigten bzw. Auftraggeber/ Arbeitgeber nur schwer beurteilen, ob eine Beschäftigung oder selbständig Tätigkeit vorliegt.

Zumeist gehen Auftraggeber und Auftragnehmer (blauäugig und gerne) davon aus, dass eine selbständige Tätigkeit vorliegt. Auftraggeber und –nehmer  freuen sich über die gesparten Sozialversicherungsbeiträge. Ein Anfrageverfahren (Statusverfahren) wird nicht durchgeführt. Doch, wie so oft im Leben, kann ein Bruch dieser Beziehung unangenehme Folgen für eine Vertragspartei haben. Hiervon erzählt folgender Fall:

Renate T., 52 Jahre alt, war lange Jahre als Kundenberaterin in einem Möbelhaus tätig. Verschiedene gesundheitliche Probleme zwangen sie zur Aufgabe dieser Beschäftigung. Nach beruflicher Neuorientierung übte sie in der Zeit vom 01.02.2006 eine Tätigkeit als Call-Center Mitarbeiterin aus, in der sie projektabhängige Beratung, Vermittlung und Verkauf von Dienstleistungen an Bestands- und Neukunden sowie Marktanalysen per Telefon durchführte. Diese Tätigkeit wurde für verschiedene „Callcenter“ ausgeübt und alle Beteiligten gingen übereinstimmend von einer selbständigen Tätigkeit aus. Ihre gesetzliche Krankenversicherung führte die Auftragnehmerin freiwillig fort.

Zum 01.10.2011 beendeten die Callcenter das Auftragsverhältnis mit Renate T.

Am 01.02.2012 beantragt Renate T. bei der DRV die nachträgliche Durchführung eines Anfrageverfahrens (Statusfeststellungsverfahrens).

Das (wahrscheinliche) Ergebnis:

  • Die DRV stellt fest, dass Renate T. in der Zeit vom 01.02.2006 – 30.09.2011 in einem Beschäftigungsverhältnis stand (vgl. analog Sächsisches LSG vom 06.03.12 – L 5 KR 152/10 -)
  • Die DRV stellt Versicherungspflicht in der Renten-,Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung fest
  • Der Arbeitgeber hat die Sozialversicherungsbeiträge für den nicht verjährten Zeitraum vom 01.12.2007 – 30.09.2011 in voller Höhe allein zu tragen, da ein nachträglicher Lohnabzug von der Arbeitnehmerin nicht mehr möglich ist (§ 28g S.3 SGB IV).
  • Die Arbeitnehmerin hat Anspruch auf Erstattung Ihrer freiwilligen Krankenversicherungsbeiträge (da nunmehr durch den Arbeitgeber Pflichtbeiträge zu entrichten sind) sowie ggf. Arbeitslosengeld.
  • Durch das Vorliegen von Pflichtbeiträgen in der Rentenversicherung in der Zeit von 01.02.2006 – 30.09.2011 erfüllt die Arbeitnehmerin wieder die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente.

Hätte jedoch das Auftragsverhältnis nur zu einem Auftraggeber (Callcenter) bestanden und wäre im Anfrageverfahren eine selbständige Tätigkeit von der DRV bestätigt worden, sähe das Ergebnis für Renate T. anders aus:

  • Es wird eine selbständige Tätigkeit, jedoch nur für einen Auftraggeber festgestellt
  • Die „arbeitnehmerähnliche“ Selbständigkeit führt zur Versicherungspflicht in der Rentenversicherung gem. § 2 Nr.9 SGB VI
  • Renate T. hat für Ihr Arbeitseinkommen in der Zeit vom 01.12.2007 – 30.09.2011 Rentenversicherungsbeiträge allein und in voller Höhe zu leisten
  • Durch die (nachträglichen Pflichtbeiträge) werden wieder die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente erfüllt

Fazit:

  1. Das Anfrageverfahren (Statusfeststellung) gem. § 7a SGB IV kann auch nach Beendigung der Tätigkeit/Beschäftigung durch die Beteiligten (Auftraggeber/ Auftragnehmer) beantragt werden (BSG vom 04.06.09 – B 12 KR 31/07 R -; LSG BW vom 24.03.2009 – L 11 R 3849/05)
  2. Das nachträgliche Anfrageverfahren ist grundsätzlich eine Waffe in den Händen des Auftragnehmers/Beschäftigten, kann jedoch bei unbedachter Beantragung auch zu nachträglichen hohen Beitragsforderungen gegen den Auftragnehmer führen.
  3. Ein nachträgliches Anfrageverfahren kann selbst dann durchgeführt werden, wenn zu Beginn der Tätigkeit bereits ein Anfrageverfahren erfolgte, die tatsächliche Ausgestaltung der Tätigkeit („das gelebte Vertragsverhältnis“) jedoch von der damaligen Darstellung abwich.
  4. In jedem Fall sollten Auftraggeber/Auftragnehmer bzw. Arbeitgeber/Arbeitnehmer einen kompetenten Rentenberater hinzuziehen.

Joachim Scholtz
Rentenberater