Rainer S. ist Redakteur und Fotojournalist. Schon seit vielen Jahren genießt er das Privileg einer Versicherungspflicht in der Renten- und Krankenversicherung über die Künstlersozialversicherung. Aufgrund seines Künstlerstatus zahlt er dort nur die halben Beiträge. Für die Berechnung dieser Beiträge hat Rainer sein Arbeitseinkommen gegenüber der Künstlersozialkasse auf 24.000 € geschätzt.
Es kommt das schlimmste Szenario für jeden Selbständigen:
Er wird arbeitsunfähig krank.
Zum Glück bin ich bei der AOK gesetzlich krankenversichert und habe Anspruch auf Krankengeld, denkt sich Rainer.
Die AOK bittet Rainer um den letzten Einkommensteuerbescheid. Wozu denn das? denkt Rainer, der ist doch schon drei Jahre alt und bestätigt lediglich ein Arbeitseinkommen von 11.142 €.
Trotzdem schickt er den alten Steuerbescheid an die AOK – was bleibt ihm anderes übrig.
Das Krankengeld beläuft sich auf 70 % des Arbeitsentgeltes. Krankengeld wird tageweise berechnet und Rainer errechnet für sich einen Anspruch von ca. (24.000 € / 360 x 0,7) 46,67 € täglich.
Der Krankengeldbescheid der AOK enthält andere Summen:
„Ihr Krankengeldanspruch ab … beläuft sich kalendertäglich 21,67 €“
Die AOK ignorierte das von Rainer jeweils geschätzte Einkommen von 24.000 €, obgleich er auf der Grundlage dieser Summe auch Beiträge entrichtete. Der Berechnung der AOK lag der alte Einkommensteuerbescheid 2003 mit einem Arbeitseinkommen von 11.142 € zugrunde. Das war am 10.05.2006. Ein Widerspruchsverfahren verlief – wie leider sehr häufig – erfolglos.
Rainer wird zur Klage gegen die AOK gezwungen und gewinnt dieses Verfahren vor dem Sozialgericht Detmold. Damit ist wiederum die Krankenkasse nicht einverstanden. Durch die Zulassung einer Sprungrevision, hier wird die Berufungsinstanz beim Landessozialgericht übersprungen, landete das Verfahren direkt beim Bundessozialgericht.
Das Bundessozialgericht verurteilte die AOK mit Entscheidung vom 06.11.2008 – B 1 KR 35/07 R – zur Berechnung des Krankengeldes auf der Grundlage des geschätzten Einkommens (aus dem auch Beiträge gezahlt wurden) und führte u.a. aus:
Besonders deutlich belegt die Entstehungsgeschichte zu § 47 Abs 4 Satz 3 SGB V, dass der Beitragsbemessung die Schätzung des Versicherten oder der Künstlersozialkasse zugrunde zu legen ist, und dass diese auch für das Regelentgelt maßgeblich sein soll. Der Gesetzgeber ging stets davon aus, dass die nach dem KSVG Versicherten gegenüber anderen Versicherten eine Sonderstellung haben…. Die gezielt von der Regelung für andere Versicherte abweichende Berechnung des Krg für nach dem KSVG Versicherte beruht nicht zuletzt auf dem Förderungsgedanken, der mit dem KSVG verknüpft ist: dem Schutz der selbstständigen Künstler und Publizisten… Zur Verwirklichung des besonderen Förderungszwecks steht es dem Gesetzgeber frei, selbstständige Künstler und Publizisten weitergehend als andere Selbstständige zu schützen. Schon dieser Zweck rechtfertigt eine abweichende Regelung der Krg-Höhe.
Welche Schlüsse sollten aus diesem Verfahren gezogen werden?
- Trotz der relativ „freien“ Schätzung des Einkommens gegenüber der KSK sollten sich Künstler darüber bewusst sein, dass diese Angabe nicht nur Geld (Beiträge) kostet, sondern ihr auch Leistungen (Rente, Krankengeld) gegenüber stehen, die sich nach dem geschätzten Betrag richten.
- In Deutschland gibt es derzeit 134 gesetzliche Krankenkassen, denen die Berechnung des Krankengeldes obliegt. Nicht jede dieser Kassen verfügt über ausreichend qualifiziertes Personal oder kennt sich mit den Feinheiten der Künstlersozialversicherung aus. Ein prüfender Blick auf den Krankengeldbescheid und die dortige Berechnung ist unerlässlich.
Joachim Scholtz, Rentenberater