Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch

Hätte ich das gewusst, hätte ich doch schon viel früher …

oder

Hätte man mir das gesagt, dann hätte ich doch …

sind oftmals verzweifelte Aussagen von Mandanten

Außerhalb des Sozialrechts wird dann umgangssprachlich gerne erwidert:

Hätte der Hund nicht ge …, hätte er den Hasen gefangen.

Rentenberater sind da etwas sensibler. Warum haben Sie es nicht gewusst? Wurde Ihnen eine anderslautende Auskunft oder Information gegeben? Hätte es Ihnen jemand sagen müssen?

Dies sind entscheidende Fragen, die sich für einen Rentenberater sofort aufdrängen. Es geht darum, zu prüfen, ob Sie durch Tun oder Unterlassen einer Behörde einen sozialrechtlichen Nachteil erlitten haben.

Schon zu preußischen Zeiten gab es nicht nur Pflichten des Bürgers gegenüber dem Staat, sondern auch zahlreiche Verpflichtungen des Staates gegenüber seinen Bürgern.

Die preußischen Beamten hätten nicht nur eine Verantwortlichkeit gegenüber ihrer Dienstbehörde, sondern auch gegenüber anfragenden Dritten (Bürgern), so entschied bereits das Reichsgericht am 20.02.1902 gegenüber einem preußischen Hauptzollamt, dass die Anfrage eines Getreidehändlers zur Warenausfuhr falsch beantwortete.

Der Bundesgerichtshof nahm die Entscheidungen des Reichsgerichts auf und entschied erstmals mit Urteil vom 27.06.1955 positive über die „Amtspflichten im sozialen Rechtsstaat“. Rechtsgrundlage dieser Entscheidungen war jeweils eine zivilrechtlich geltend gemachte „Amtspflichtverletzung“ nach § 839 BGB.

Auch das Bundessozialgericht beschäftigte sich in zahlreichen Entscheidungen der 60er und 70er Jahre mit der Betreuungspflicht der Sozialversicherungsträger. In Gesetz gegossen wurden die Aufklärungs-, Beratungs- und Auskunftspflichten der Sozialversicherungsträger jedoch erst mit den §§ 13 – 15 SGB I zum 01.01.1976

Damit waren die Pflichten der Sozialversicherungsträger gesetzlich normiert. Welche Wege gibt es jedoch, wenn diese Pflichten verletzt wurden?

Das Gesetzbuch gibt weiterhin nur die Möglichkeit, Schadensersatz im Wege einer Staatshaftung durch Amtspflichtverletzung (§ 839 BGB) vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit geltend zu machen. Dies setzt eine umfangreiche Beweisführung (§§ 138, 282 ZPO) voraus und lässt auch ein hohes Kostenrisiko (§ 91 ZPO) entstehen. Eine in der Regel nicht zu empfehlende Klage.

Eine gesetzliche Vorschrift zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gibt es nicht.

Es bestand also eine sogenannte „Regelungslücke“. Diese „Regelungslücke“ kann durch „richterliche Rechtsfortbildung“ ausgeglichen werden. Umgangssprachlich wird auch von Richterrecht gesprochen. In der Folge ergingen zahllose Urteile des Bundessozialgerichts zu unterschiedlichsten Fallkonstellationen.

Die Kenntnis der Leitsätze dieser Entscheidungen und die Übertragung auf Ihren Sachverhalt ist unabdingbare Voraussetzung für die Beurteilung und ggf. Durchsetzung Ihrer Ansprüche.

Im Gegensatz zu Klageverfahren wegen Amtspflichtverletzung können Verfahren auf Gewährung eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches vor den Sozialgerichten gerichtskostenfrei und ohne die prozessualen Hürden der Zivilprozessordnung geführt werden.

Wenn Sie sich mit Ihrer Problematik in folgendem Schema wiederfinden, sollten Sie mit mir Kontakt aufnehmen:

Das Handeln oder Nichthandeln einer Sozialverwaltung
führt
zu pflichtwidriger Verletzung eines sozialen Rechts (z.B.vollständige/richtige Beratung/Auskunft)
dadurch
erfolgt kausal eine Fehldisposition durch Sie (z.B. Antrag/kein Antrag)
und es entsteht
ein sozialrechtlicher Nachteil (z.B. später Rentenbeginn, keine Rente, Leistungskürzung)

Abschließend sei erwähnt, dass auch Leistungen aus einem (erfolgreichen) sozialrechtlichen Herstellungsanspruch der allgemeinen sozialrechtlichen Verjährung von vier Jahren unterliegen. Zum 31.12.2012 verjähren Leistungen bis zum 31.12.2008.

Joachim Scholtz
Rentenberater