Nach Betriebsprüfungen wurden im Jahr 2011 insgesamt 840.000.000 € Sozialversicherungsbeiträge nachgefordert. 656.637,84 € Sozialversicherungsbeiträge war die Summe, die mit Bescheid vom 01.06.2010 von Herrn K. gefordert wurden. Was war passiert?
Herr K. vermittelte mit seiner Agentur insbesondere Bild-, MAZ- und Tontechniker an ein anderes Unternehmen. Nach einem Streit mit einer früheren Mitarbeiterin kam es zur Denunzierung bei der Staatsanwaltschaft und Herr K. wurde wegen illegaler Arbeitnehmerüberlassung gem. § 266a StGB zu 10 Monaten auf Bewährung verurteilt. Eine nachfolgende Betriebsprüfung gem. § 28p SGB IV für den Zeitraum vom 01.01.2001 – 31.07.2005 stellte sodann für 81 Personen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis bei Herrn K. und rückständige Sozialversicherungsbeiträge von 656.637,84 € fest. Herr K. lässt gegen den Bescheid der DRV Widerspruch erheben. Mit diesem Widerspruch möchte er
1. eine aufschiebende Wirkung hinsichtlich der enormen Forderung erzielen
2. insgesamt die Feststellung, dass 81 Personen bei ihm in Beschäftigung standen,
anfechten.
Solange über den Widerspruch (und ggf. weitere Klage) nicht abschließend entschieden ist, darf die DRV nicht die 656.637,84 € gegen ihn vollstrecken. Herr K. stützte sich hierbei auf den Grundsatz der Vorschrift des § 86a Abs.1 SGG – Aufschiebende Wirkung -:
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Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung.
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Dieser Auffassung konnte die DRV nicht folgen, verlangte die sofortige Begleichung der Beitragsschuld und verwies auf § 86a Abs.2 Nr.1 SGG:
Die aufschiebende Wirkung entfällt bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten,
Der Streit zog sich bis vor das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt. Dort wurde mit Beschluss vom 08.11.2012 – L 1 R 304/11 B ER – Herrn K. Recht gegeben:
[frame bgcolor=“#334455″ version=“light“]Die Anfechtungsklage hat grundsätzlich aufschiebende Wirkung; dies gilt auch in Status-Angelegenheiten, § 86a Abs. 1 SGG. Eine Ausnahme, wie von § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG vorgesehen, liegt hier nicht vor. Der streitgegenständliche Bescheid enthält zwar eine Beitragsnacherhebung, aber als Voraussetzung wird hierfür der Status der Mitarbeiter des Antragstellers als versicherungspflichtig Beschäftigte festgestellt. Nach § 7a Abs. 7 SGB IV haben Widerspruch und Klage hinsichtlich statusrechtlicher Entscheidungen grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Dieser vorläufige Rechtsschutz kann nicht dadurch entfallen, dass daneben auch noch Beiträge nachgefordert werden. Gegenüber § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG ist § 7 SGB IV lex specialis. Nach der Gesetzesbegründung zu § 7a Abs. 7 SGB IV gilt die Vorschrift nicht nur für Statusentscheidungen der Rentenversicherung Bund, sondern auch für Statusentscheidungen der übrigen Sozialversicherungsträger außerhalb des Anfrageverfahrens nach § 7a SGB IV.[/frame]
Die DRV ist hier Opfer ihres eigenen Bescheides geworden. Mit einem Bescheid sollten verfahrensrechtlich zwei unterschiedliche Regelungen getroffen werden:
1. die Personen 1, 2, …85 stehen in einem Beschäftigungsverhältnis zu Herrn K.
2. dadurch ergeben sich Beitragsnachforderungen in Höhe von 656.637,84 €
Richtig ist, dass die Beitragsforderung nicht der aufschiebenden Wirkung unterzogen werden kann. Die Beitragsforderung resultiert jedoch aus der gleichzeitig im Bescheid getroffenen Feststellung, dass diverse abhängige Beschäftigungsverhältnisse vorliegen. Die Feststellung eines Beschäftigungsverhältnisses ist jedoch wiederum eine statusrechtliche Frage und bei dieser statusrechlichen Frage haben Widerspruch und Klage gem. § 7 Abs.7 SGB IV immer aufschiebenden Wirkung.
Die Regelung der aufschiebenden Wirkung garantierte auch im Verfahren des Herrn K., dass die Verwaltung durch die Erteilung des Forderungsbescheides nicht vollendete Tatsachen schaffen konnte.
Anträge bei der Verwaltung bzw. den Sozialgerichten auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung und aufschiebende Wirkung gehören zu den schwierigeren Übungen im Status- und Beitragsrecht. Der Standardkommentar zu §§ 86a, 86b SGG (Beck-Verlag, Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer) erstreckt sich auf 38 Seiten – eine gute Vertretung wird empfohlen.
Joachim Scholtz
Rentenberater