Die Versicherungspflicht von Physiotherapeuten und Krankengymnasten

Krankengymnasten, Physiotherapeuten sowie alle anderen überwiegend auf ärztliche Anordnung tätigen Personen, z.B. Masseure, können einen ganz unterschiedlichen Status in der gesetzlichen Rentenversicherung haben.

Drei Sachverhalte und die hierzu ergangenen Entscheidungen möchte ich Ihnen vorstellen. Es handelt sich um Fälle „aus dem wirklichen Leben“, entschieden von den Landessozialgerichten in Berlin, Baden- Württemberg und Bayern in den Jahren 2005 – 2009.

1. „Physiotherapeuten auf Stundenbasis“

Sachverhalt:
Die Klägerin ist eine Firma mit dem handelsregisterlich eingetragenen Unternehmensgegenstand Betrieb eines Physiotherapiestudios, Kooperation mit anderen medizinischen Einrichtungen, wissenschaftlicher Begleitung naturheilkundlicher oder alternativer Heilmethoden, Erarbeitung neuer Kur- bzw. Reha-Konzepte, Vermarktung von Gesundheitsprodukten sowie Vertrieb von medizinischen Messgeräten, nicht rezeptpflichtiger Medikamente sowie medizinischer Trainingstherapie. Der Geschäftsführer der Klägerin ist von Beruf Arzt. Die Klägerin bietet Massagen und Krankengymnastik an, wobei sie jedenfalls in der Vergangenheit „freie Mitarbeiter“ einsetzte, die für von der Klägerin zugewiesene Patienten in von der Klägerin verantwortlich betriebenen Massagenräumen Massagen- und Physiotherapieleistungen erbrachten. Die Abrechnung mit den Patienten lief dabei über die Klägerin, während die Physiotherapeuten auf Stundenbasis bezahlt wurden und die vor Ort vorhandenen Einrichtungen und Gegenstände nutzten. Diese Leistungen bot die Klägerin unter anderem im Wellnessbereich des B.Hofes in L. an.

Die Prüfung des Betriebes der Klägerin habe für den Prüfzeitraum 01.01.2003 bis 31.12.2006 ergeben, dass diese die in der Massagepraxis im B.Hof in L. tätigen Physiotherapeuten auf Basis freier Mitarbeit geführt habe, obgleich jene tatsächlich beitragspflichtig abhängig Beschäftigte gewesen seien.

Entscheidung des LSG- FSB vom 11.08.2009 – L 5 R 210/09 -:
Zu Unrecht wurden die Physiotherapeuten als selbständig Tätige behandelt. Tatsächlich waren diese in die Betriebsorganisation eingebunden und dort arbeitsteilig tätig. Wie die Verwaltungsakten der Beklagten ergeben, waren die Physiotherapeuten in Räumlichkeiten des Hotels tätig. Dort verfügten die Physiotherapeuten nicht über eigene Betriebsmittel, sondern es waren ihnen alle für Massage und Krankengymnastik notwendigen Einrichtungen wie Massageliegen, Handtücher, Massageöle oder etwa die Bestuhlung für die Wartezeit vor Ort zur Verfügung gestellt. Die Klägerin wies dabei den Physiotherapeuten die jeweiligen Patienten zu. Diese hatten sich nicht bei den beigeladenen Physiotherapeuten als zu behandelnde Patienten gemeldet. Die entsprechenden Leistungen wurden auch nicht gegenüber den Patienten abgerechnet, sondern gegenüber der Klägerin. Dabei erfolgte die Bezahlung der betroffenen Beigeladenen arbeitnehmertypisch auf Stundenbasis. Es fehlte somit an einem eigenen Auftreten am Markt, an eigenen Betriebsmitteln sowie an einem typischen Unternehmerrisiko und gleichzeitig an einer typischen Unternehmerchance. Die Physiotherapeuten konnten höhere Erlöse nur dadurch erzielen, dass sie mehr Stunden für die Klägerin arbeiteten. Dies ist als arbeitnehmertypisch anzusehen. Die demgegenüber vorhandenen Freiheiten, wie z. B. die Möglichkeit, Art der Physiotherapie und Abfolge der Massageleistungen nach eigenen Entscheidungen zu gestalten, keine permanente Präsenzpflicht sowie das Fehlen von Entgeltfortzahlung im Urlaubs- und Krankheitsfall treten dabei im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung der Umstände des Einzelfalles in den Hintergrund.

Fazit:
Hier war doch die „Selbstständigkeit“ etwas einfach gestrickt. Im Ergebnis waren die Physiotherapeuten als „normale“ Arbeitnehmer anzusehen. Als Konsequenz hatte der Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge der letzten vier Jahre zzgl. Säumniszuschläge nachzuzahlen.  

2. „Physiotherapeut mit klarem Vertrag über freiberufliche Tätigkeit“

Sachverhalt:
Die Klägerin war ab dem 01.02.1996 als selbständige Physiotherapeutinaufgrund eines Vertrages über freiberufliche Tätigkeit vom 20.12.1995 mit dem Praxisinhaber A. in dessen Physiotherapiezentren in H., S. und G. tätig. Als Kostenerstattung für die Überlassung von Personal (Gehälter und Lohnnebenkosten), Räumlichkeiten (Mieten und Mietnebenkosten) Geräten, Fahrzeugen, Verbrauchsmaterial und für die Übernahme der gesamten Praxiskosten (Verwaltungs- und Betriebskosten) hatte die Klägerin einen Betrag von 40 bzw. 35 % des Abrechnungsbetrages ihrer Umsätze an den Praxisinhaber abzuführen. Hierfür stellte dieser der Klägerin aus dem bestehenden Patientenstamm Patienten zur Durchführung von Behandlungen zur Verfügung. Ausweislich des Vertrages über freiberufliche Tätigkeit hatte die Klägerin über die Übernahme von Behandlungsaufträgen und die Art und Weise der Durchführung der Behandlung in eigener Verantwortung zu entscheiden. Sie war berechtigt, ihre Abrechnungen unter Zuhilfenahme des Personals des Praxisinhabers auch selbst durchzuführen.

Anmerkung:
Bei diesem Sachverhalt gingen alle Beteiligten davon aus, dass tatsächlich eine selbstständige Tätigkeit vorliegt. Diese selbstständige Tätigkeit als Physiotherapeutin führt jedoch gem. § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI zur Versicherungspflicht in der Rentenversicherung, sofern im Zusammenhang mit der selbstständigen Tätigkeit regelmäßig keine versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt werden. Um eine Versicherungspflicht zu vermeiden, führte die Klägerin aus, dass sie gegenüber den Mitarbeitern der einzelnen Physiotherapiezentren weisungsberechtigt sei und diese in ihren Geschäftsbetrieb eingegliedert seien. Sie würde daher selbst versicherungspflichtige Arbeitnehmer beschäftigen und nicht mehr der Versicherungspflicht als Selbstständige unterliegen.

Entscheidung des LSG- BWB vom 13.05.2009 – L 3 R 4298/04 –:
Es liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass die Mitarbeiter der Physiotherapiezentren nicht in einem Arbeitsverhältnis mit der A. Physiotherapiegesellschaft mbH, sondern in einem Beschäftigungsverhältnis mit der Klägerin gestanden haben. Hierbei ist maßgeblich darauf abzustellen, zwischen wem arbeitsvertragliche bzw. sozialversicherungsrechtliche Pflichten bestehen. Diesbezügliche Pflichten bestanden zwischen der Klägerin und den Mitarbeitern der Therapiezentren nicht, so dass schon aus diesem Grunde diese bei der Anwendung des § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI Arbeitnehmern der Klägerin nicht gleichgestellt werden können. Denn für die Bezahlung der Löhne und Gehälter, die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge und Steuern und für die Erfüllung der sonstigen aus dem Arbeitsverhältnis resultierenden Arbeitgeberpflichten war allein der Praxisinhaber verantwortlich.

Fazit:
Der gut ausgestaltete Praxisvertrag und die tatsächlichen Begebenheiten garantierten der Klägerin einen Status als Selbstständige. Als Ergebnis unterliegt sie der Versicherungspflicht nach § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI und hatte den Beitrag von 19,9 % ihres Einkommens (oder den Regelbeitrag von z.Zt. 508,45 €) selbst aufzubringen. Solange sie nicht selbst Löhne und Gehälter von versicherungspflichtigen Personen trägt, entbindet sie allein die Weisungsbefugnis über (fremde) Arbeitnehmer nicht von der Versicherungspflicht.

3. „Physiotherapeuten in GbR mit einer Angestellten“

Sachverhalt:
Die Klägerin ist selbständige Physiotherapeutin. Gemeinsam mit einem Kollegen betreibt sie die physiotherapeutische Praxis „V “ als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR; Praxisvertrag vom 01. Oktober 2002). Seit dem 01. Februar 2003 beschäftigt die GbR eine Arbeitnehmerin als Bürokraft für die Anmeldung in Teilzeittätigkeit zu einem monatlichen Bruttoentgelt von 420,- EUR.

Auf den im Januar 2003 gestellten Antrag auf Beitragszahlung für eine Pflichtversicherung kraft Gesetzes als selbständig Tätige stellte die Beklagte fest, dass die Klägerin ab 01. Oktober 2002 – dem Beginn ihrer Physiotherapeutentätigkeit – nach § 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) versicherungspflichtig sei.

Anmerkung:
Wie auch in obigem 2. Verfahren ist die Klägerin unstreitig selbstständig. Sie sieht jedoch eine Versicherungspflicht als nicht gegeben an, da sie mit Ihrer Kollegin als GbR eine versicherungspflichtige Angestellte beschäftigen würde.

Entscheidung des LSG- BRB vom 06.09.2005 – L 16 RA 161/04 –:
Nach § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI sind versicherungspflichtig selbständig tätige Pflegepersonen, die in der Kranken-, Wochen-, Säuglings- oder Kinderpflege tätig sind und im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit keinen versicherungspflichtigen Arbeitsnehmer beschäftigen. Die Klägerin gehört zu diesem Personenkreis, weil sie ab 01. Oktober 2002 als selbständige Physiotherapeutin in der Krankenpflege tätig ist, ihre Patienten überwiegend auf ärztliche Verordnung behandelt und in diesem Zusammenhang keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt.

Die Vorschrift des § 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI geht davon aus, dass die dort genannten Selbständigen, solange sie keinen versicherungspflichtigenArbeitnehmer beschäftigen, im Wesentlichen allein auf ihre Arbeitskraft angewiesen sind und deshalb nicht in der Lage sind, so erhebliche Verdienste zu erzielen, dass sie sich außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung angemessen absichern können. Hieran ändert sich nach der gesetzgeberischen Wertung erst dann etwas, wenn ein versicherungspflichtiger Arbeitnehmer beschäftigt wird, weil dann die praktische Vermutung dahin geht, dass derjenige, der einen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt, wirtschaftlich in der Lage ist, sich anders als in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Alter abzusichern. Da auf die Klägerin als Mitgesellschafterin der GbR nur ein Gehaltsanteil von 210,- EUR für die beschäftigte Arbeitnehmerin entfällt, bleibt es in ihrem Fall bei der gesetzlichen Vermutung, dass eine geringfügige Beschäftigung von Hilfskräften an dem Absicherungsbedürfnis in der gesetzlichen Rentenversicherung nichts ändert.

Fazit:
Auch diese Physiotherapeutin ist als Selbständige versicherungspflichtig. Die (gemeinschaftliche) Beschäftigung einer Angestellten ändert daran nichts, solange der (anteilige) Entgeltbetrag nicht mindestens 400,00 € monatlich übersteigt.

Meine Empfehlung:

In allen Verfahren ging es um erhebliche Geldbeträge. Knapp 20 % des Einkommens der (mindestens) letzten 4 Jahre sind nicht unerheblich. Als Arbeitgeber haften Sie für die vollen Sozialversicherungsbeiträge Ihres angeblich selbstständigen Mitarbeiters. Minimieren Sie Ihr Risiko durch eine vorherige Prüfung durch Ihren Rentenberater. Die Kosten hierfür sind steuerlich absetzbar.

Joachim Scholtz
Rentenberater