Fristen bestimmen das (juristische) Leben. Urteile der Sozialgerichte enthalten in aller Regel den Hinweis, dass die Berufung innerhalb eines Monats beim XY LSG (Anschrift und Fax-Nummer) schriftlich oder zur Niederschrift der Urkundsbeamtin/des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen sei. Diese Frist sei aber auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist beim SG XY schriftlich oder zur Niederschrift der Urkundsbeamtin/des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt werde.
Auf die Möglichkeit einer Rechtsmitteleinlegung durch Email, die zumindest in der Sozialgerichtsbarkeit in 7 Bundesländern zulässig ist, wird nicht hingewiesen.
Die Frist zur Einlegung einer Berufung beträgt einen Monat nach Zustellung des Urteils (§ 151 SGG).
Gleichzeitig regelt jedoch § 66 Abs.2 SGG, dass anstelle der Monatsfrist eine Frist von einem Jahr tritt, sofern die Rechtsmittelbelehrung unterblieben ist oder unrichtig erteilt wurde:
(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 67 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.
Das Bundessozialgericht hatte am 14.03.2013 – B 13 R 19/12 R – über die Frage zu entscheiden, ob eine Rechtsmittelbelehrung in einem Urteil ohne den Hinweis auf die Möglichkeit der elektronischen Berufungserhebung fehlerhaft im Sinne des § 66 Abs.2 SGG war.
Im zu entscheidenden Fall war gegen ein Urteil bezüglich einer Erwerbsminderungsrente erst nach 4 Monaten Berufung erhoben worden. Gegen eine Verfristung der Berufung wurde argumentiert, dass die Rechtsmittelbelehrung des Sozialgerichts fehlerhaft gewesen sei und daher die Ein-Jahres-Frist des § 66 Abs. 2 SGG gelte. Ein gutes Argument um diesen Fall nach Ablauf der Monatsfrist noch zu retten.
Der Kläger konnte sich auf ein Schreiben des Vorsitzenden des 5. Senats des BSG vom 7.2.2011 in einem anderen Verfahren berufen; hiernach stehe, wenn in der Rechtsmittelbelehrung eines LSG-Urteils ein Hinweis auf die Möglichkeit elektronischer Rechtsmitteleinlegung beim BSG fehle, zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde die Jahresfrist des § 66 Abs 2 S 1 SGG zur Verfügung.
Clever hierzu, die Urteilsgründe des 13. Senats:
Selbst wenn aufgrund dieses Schreibens bei der Beklagten (Anmerkung: Die Revisionsbeklagte war zuvor Kläger) ein Irrtum über die maßgebliche Frist entstanden sein sollte und fehlendes Verschulden iS von § 67 Abs 1 SGG ausnahmsweise bejaht werden könnte (vgl BVerwG Beschluss vom 29.6.2010 – 3 B 71/09 – Juris RdNr 6), hat dies jedenfalls für das vorliegende Verfahren keine Bedeutung. Denn die Beklagte kann das genannte Schreiben vom 7.2.2011 frühestens am selben Tag erhalten haben. Zu diesem Zeitpunkt war aber im hier zu entscheidenden Fall die Berufungsfrist (Anmerkung: das Urteil war vom 11.11.2010) längst abgelaufen.
Bei diesem Sachverhalt konnte sich der 13. Senat des Bundessozialgerichts noch „davor drücken“, sich inhaltlich mit dem Schreiben des 5. Senats auseinander zu setzen.
Spannend werden jetzt Sachverhalte mit Rechtsmittelbelehrungen in Bescheiden und Urteilen nach dem 07.02.2011. Insbesondere wenn das Verfahren auf den Tisch des 5. Senats kommen sollte, stehen die Chancen nicht schlecht, dass dort die Einschätzung „Das Internet ist für uns alle Neuland“ (Bundeskanzlerin Merkel am 19.06.2013) nicht durchschlagen wird.