Scheinselbständigkeit – Der schmale Grat zwischen Bundesrat und den Discountern

Die heutige Schlagzeile in den Zeitungen:

Was war passiert? Angeblich wurde im Bereich Verpackung und Versandt großes „Outsourcing“ betrieben. Anstelle eigene versicherungspflichtige Beschäftigte mit dem Packen und Versenden von Paletten zu beschäftigen, wurden direkt oder über Subunternehmen ganz viele „selbständige Verpacker“ mit Werkverträgen ausgestattet.

Das spart Sozialversicherungsbeiträge und behindert die Unternehmen nicht mit unliebsamen Arbeitnehmerrechten, wie Kündigungsschutz, Lohnfortzahlung, betrieblicher Mitbestimmung etc.

Die Sozialgerichtsbarkeit wird nun zu prüfen haben, ob sich für diese „Selbständigen“ Sozialversicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI), § 25 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) sowie aus § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) ergibt.

Rechtsgrundlage für die Abgrenzung zwischen zur Sozialversicherungspflicht führender abhängiger Beschäftigung und sozialversicherungsfreier Selbständigkeit ist § 7 Abs. 1 SGB IV.

Nach § 7 Abs 1 SGB IV in seiner seit 1999 geltenden Fassung ist Beschäftigung die nicht selbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.

Voraussetzungen, an deren Erfüllung in den Fällen der Discounter berechtigte Zweifel aufkommen könnten. Eine teuere Angelegenheit für den eventuellen Arbeitgeber, der sodann für die vollen Sozialversicherungsabgaben zuzüglich Säumniszuschläge aufkommen müßte. Warum haben die Discounter nicht zuvor den Rat eines Rentenberaters eingeholt?

Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale letztendlich überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, geben Letztere den Ausschlag (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. die zahlreichen Nachweise in BSG, Urteil vom 22. Juni 2005 – B 12 KR 28/03 R; zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung: BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. Mai 1996, 1 BvR 21/96).

Das entschlossene Eingreifen der Staatsanwaltschaft und des Zoll verdecken jedoch, dass sich auch die bundesdeutschen Verfassungsorgane gerne durch sogenannte Werkverträge den unliebsamen zusätzlichen Kosten einer sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigung entledigen. Man muss hierbei nicht an die verschieden Bundestagsbaustellen nach 1990 zurückdenken.

Haben Sie schon einmal eine Führung durch den Bundesrat gemacht? Die dortigen Betreuer von Besuchergruppen und Einzelpersonen sind (nicht versicherungspflichtige) Honorarkräfte (wir erinnern uns an die oben genannten Voraussetzungen: Eine selbständige Tätigkeit ist vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet).

Letztendlich hat für diese Besucherbetreuer des Bundesrates das Landessozialgericht Berlin- Brandenburg mit Urteil vom 15.07.2011 – L 1 KR 206/09 – zugunsten einer selbständigen Tätigkeit entschieden. Einen Hinweis ließ sich das Gericht jedoch nicht nehmen:

„Im Ergebnis ist festzustellen, dass es zwar offen bleibt, ob es sozialpolitisch sinnvoll ist, dass das Verfassungsorgan Bundesrat nicht den Weg wählt, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze zu schaffen. Dies ist hier nicht zu prüfen. Die fragliche Ausgestaltung und ihre tatsächliche Umsetzung sind allerdings kein Ausdruck von Scheinselbständigkeit und nicht rechtswidrig.“

Da hatte der Bundesrat noch einmal Glück gehabt. Trotzdem gilt:

Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.
(Johannes 8,7)

Joachim Scholtz
Rentenberater